von: Helene Fidorra, FIR e.V. an der RWTH Aachen
Der Fachkräftemangel stellt ein branchenübergreifendes Problem dar, das sich besonders in handwerklichen Ausbildungsberufen zeigt. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge der Werkzeugmechaniker*innen sinkt seit 2017 kontinuierlich (Bundesinstitut 2022, S.50). Verschärft werden diese Entwicklungen noch durch den hohen Anteil der näher rückenden Renteneintrittsalter der aktuellen Belegschaft. Dadurch entsteht eine Lücke, die weder durch bereits ausgebildete noch durch neue Ausbildungsabsolventen geschlossen werden kann.
In der Vergangenheit blieben viele Ausbildungsstellen unbesetzt, was zu einem Rückgang der Angebote geführt hat (Malin et al. 2023, S.26f). Diesem Trend muss dringend entgegengewirkt werden, da sonst das Ausbildungsplatzproblem von heute zum Arbeitsplatzproblem der Zukunft wird. Dafür sind eine starke Persistenz und geschickte Marketingmaßnahmen gefragt. Hierbei können kurzfristige Lösungen, wie bspw. Umschulungen und Weiterbildungen, Abhilfe schaffen. Um jedoch Fachkräfte nachhaltig zu sichern, sind langfristige Lösungen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität unerlässlich.
Sorge der Betriebe vor möglichen Folgen
Die Datenlage zu den Folgen des Fachkräftemangels ist insgesamt schwer zu erfassen. Nach Prognosen und Befragungen in betroffenen Betrieben zeichnen sich die Probleme des Fachkräftemangels vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen ab (Hardege, Stefan, DIHK 2023, S.11-16). Hier gestaltet sich die Rekrutierung oft als besonders schwierig. Zusätzlich fallen die unbesetzten Stellen stärker ins Gewicht. Die am stärksten befürchteten Folgen bestehen in der Mehrbelastung der bereits vorhandenen Fachkräfte und in den steigenden Arbeitskosten (Hardege, Stefan, DIHK 2023, S.11-16). Denn die bisherigen Arbeitnehmer müssen die fehlenden Stellen ausgleichen und könnten daher mehr Gehalt verlangen. Ein höheres Gehalt und die kostenintensivere Personalsuche tragen zukünftig zu deutlich höheren Betriebsaufwendungen bei. Ist es dennoch nicht möglich, die Stellen zu besetzen oder auszugleichen, muss das Angebot eingeschränkt oder Anfragen abgelehnt werden. Der resultierende Zeitdruck erschwert Weiterbildungsmaßnahmen und verhindert die Entstehung neuer Innovationen. Infolge dieser beschriebenen Abwärtsspirale könnte dies schließlich zu dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen.
Zentrale Gegenmaßnahmen zur Reduktion des Fachkräftemangels
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, können Maßnahmen in drei Kategorien umgesetzt werden, die im Folgenden vorgestellt werden. Im Rahmen der ersten Kategorie geht es darum, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen, ohne zwangsläufig auf Gehaltserhöhungen zurückgreifen zu müssen. Eine Möglichkeit wäre Home-Office anzubieten oder die Vier-Tage-Woche im Betrieb einzuführen. Damit sollen Fachkräfte auf Betriebe aufmerksam werden, die auf ihre Bedürfnisse eingehen. Die zweite Kategorie umfasst Maßnahmen, die den berücksichtigten und angesprochenen Bewerberpool auf bisher wenig berücksichtige Gruppen wie Menschen mit Behinderung zu vergrößern, um unausgeschöpftes Potenzial bei einer nicht berücksichtigten Zielgruppe zu nutzen. Die dritte Kategorie beinhaltet Maßnahmen wie bspw. Ausbildungsförderung, Umschulungen und Weiterbildungen von Personen und hat die nachhaltige Sicherung der Fachkräfte zum Ziel.
Neue Ideen für Betriebe entwickeln
Betriebe können selbst verschiedene Methoden nutzen, um in diesen Kernbereichen neue konkrete Strategien zu entwickeln. Eine dieser Methoden bildet die Disney-Methode (BMI 2024). Diese soll der bekannte Autor genutzt haben, um eigene Ideen zu entwickeln, zu prüfen und umzusetzen. Diese Methode wird in drei verschiedene Phasen unterteilt, die nacheinander durchlaufen werden.
Abbildung 1: Phasen der Disney-Methode (eigene Darstellung i. A. a. BMI 2024)
Die erste „Träumer-Phase“ dient der kreativen Ideengenerierung. Dabei sollen Teilnehmende sich an den Potenzialen orientieren, ohne Grenzen der Realität zu beachten. Es geht hierbei darum, den Perfektionismus hinter sich zu lassen und erst einmal neue Ideen zu sammeln. Leitfragen hierfür können sein:
- Was würde ich tun, wenn ich nicht an Ressourcen gebunden wäre?
- Was wünsche ich mir?
Die Ideenfindung gestaltet sich je nach Gruppe unterschiedlich schwer. Um einige Anregungen zu bieten, kann es hilfreich sein, den Teilnehmenden die drei zuvor beschriebenen Kategorien der Gegenmaßnahmen kurz vorzustellen. Durch diese Anhaltspunkte fällt es einigen Teilnehmenden einfacher, konkrete Ideen zu entwickeln. Zudem bietet dies auch gleichzeitig eine gute Einleitung in das Thema des Fachkräftemangels.
In der zweiten „Macher-Phase“ werden die erarbeiteten Ideen genauer durchdacht und zunächst versucht, diese realisierbar zu machen. Es soll strukturiert vorgegangen werden, mit dem Ziel Strategien zu entwickeln, um mindestens Teile der Ideen umzusetzen.
- Welche Möglichkeiten zur Umsetzung gibt es?
- Gibt es vorhandene Strukturen, auf denen aufgebaut werden kann?
Dabei soll keine Kritik an den Konzepten geübt werden, sondern lediglich eine konstruktive Fokussierung auf die Umsetzung erfolgen.
In der letzten „Kritiker-Phase“ werden die Ideen realitätsbezogen bewertet und ihre Chancen und Risiken abgewogen. Es sollen bisher noch nicht berücksichtigte Punkte identifiziert werden. Wichtig ist hierbei, dass konstruktive Urteile gebildet werden sollen und die Ideen nicht durchweg negativ betrachtet werden. Leitfragen hierbei sind beispielsweise:
- Was sind Kosten und Nutzen der Ideen?
- Was müsste für die Umsetzbarkeit gegeben sein?
Die Phasen können nacheinander in einer großen Gruppe oder in Kleingruppen ablaufen. Empfohlen wird hierbei für jede Phase eine eigene Ecke im Raum festzulegen, um durch die räumliche Trennung die gedankliche Trennung in den verschiedenen Phasen zu unterstützen. Eine wichtige Rolle spielt der Coach/Gruppenleiter, der in die verschiedenen Phasen überleitet, und vor allem auf deren Einhaltung achtet. Die Trennung und Einhaltung der Phasen tragen im Wesentlichen dazu bei, bisherige Denkmuster aufzubrechen und durch kreative Ansätze neue Lösungen zu finden. Wichtig ist, dass der Coach darauf achtet, dass die Teilnehmenden sich angemessen verhalten und nur die Ideen, aber niemals die Personen kritisieren.
Am Ende der Methode können die Ideen zusätzlich noch den drei zuvor vorgestellten Kategorien zugeordnet werden, um die Methode abzurunden. Daraufhin kann zusätzlich ein konkreter Maßnahmenplan entwickelt werden, um beispielsweise eine Idee aus jeder der Kategorien oder mehrere Ideen einer besonders wichtigen Kategorie umzusetzen. Es wäre zum Beispiel möglich, den Bewerberpool zu vergrößern, indem man gezieltes Marketing für junge Frauen betreibt und versucht, diese für eine Ausbildung zu gewinnen. Diese sind 2021 mit Anteil von 7,6 % neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Beruf Werkzeugmechaniker*in deutlich unterrepräsentiert (Bundesinstitut 2022, S.50).
Mehr Wissen:
Arbeitskreisreihe Personalentwicklung: Im Rahmen einer sechsteiligen Arbeitskreisreihe Personalentwicklung im Strukturwandel: Chancen nutzen, Zukunft sichern! fördern wir im Rahmen von TuWAs den Austausch zu aktuellen Themen aus der Personalentwicklung und geben Impulse für die Umsetzung in Ihrem Unternehmen. Mehr Informationen und Anmeldung zur Arbeitskreisreihe Personalentwicklung.
Blogbeitrag Fachkräftemangel: Wie kommt es zum Fachkräftemangel und welche Branchen sind besonders betroffen? Wenn Sie noch mehr zum Fachkräftemangel wissen wollen, dann wollen wir Sie auf unseren Blogbeitrag zum Thema: Herausforderung Fachkräftemangel aufmerksam machen. Hier werden die Mechanismen hinter dem Fachkräftemangel beleuchtet und herausgearbeitet, warum neue Moden in diesem Kontext so wichtig wie nie zuvor sind.
Handout Kreativ-Workshop: Weitere Beispiele und Strategien für die Gewinnung von qualifiziertem Personal im Zeitalter des Fachkräftemangels bieten wir Ihnen im Handout des TuWAs-Kreativ-Workshops Fachkräftemangel im Bereich der Metallbranche eine Übersicht zu Maßnahmen und Beispielen, die bereits Anwendung in Unternehmen finden.
Literaturverzeichnis
BMI: Walt-Disney-Methode. https://www.orghandbuch.de/Webs/OHB/DE/OrganisationshandbuchNEU/4_MethodenUndTechniken/Methoden_A_bis_Z/Walt_Disney_Methode/Walt_Disney_Methode_node.html (Link zuletzt geprüft: 03.07.2024).
Bundesinstitut, f. B. (Hrsg.): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. 1. Auflage. Datenreport zum Berufsbildungsbericht; Bd. 2022. Bundesinstitut für Berufsbildung. Bonn 2022.
Hardege, Stefan, DIHK: Fachkräfteenpässe gefährden Transformation und Innovation. DIHK-Fachkräftereport_2023. DIHK, 2023.
Malin, L.; Jansen, A.; Köppen, R.: Fachkraeftesituation Metall-und Elektroberufen. Studie 01/2023. KOFA, 2023.